Markenbotschafter-Interview Nr. 3

Soziale Medien: „Nicht ansprechbar zu sein ist auch eine Aussage“

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Markenbotschafter-Interview Nr. 3: Dr. Jörg Ehmer, CEO Apollo Optik

Social Media ist Chefsache, findet der CEO von Apollo Optik: Dr. Jörg Ehmer schreibt ein eigenes Blog, postet persönlich auf LinkedIn, Facebook und Instagram und antwortet zeitnah auf Kommentare sowie Privatnachrichten. Warum dies für ihn zur Jobbeschreibung dazugehört, wie das zeitlich machbar ist und was er anderen Führungskräften rät, erfahren Sie im Video-Interview. 

Persönliche Aktivitäten in Social Media sind aus Ehmers Sicht für CEOs, Vorstände und andere Führungskräfte nicht mehr optional: „Sind Sie nicht auf sozialen Medien, ist das eine Aussage. Sind Sie auf sozialen Medien, aber nicht ansprechbar, ist das auch eine Aussage.“

Mitarbeitende erwarteten zu Recht mehr Teilhabe und einen direkten Dialog. Wer das als Chef leisten wolle, müsse auch über Social Media direkt ansprechbar sein, findet Ehmer – und hat praktische Tipps für alle parat, die das versuchen wollen.

Die gut 20 Minuten Zeit für das Anschauen dieses Video sind bestens investierte Zeit. Unten in diesem Beitrag finden Sie zudem die komplette Transkription.

 

Neues Videoformat: Die Markenbotschafter-Interviews

Das Video ist die zweite Folge meiner neuen Reihe mit Markenbotschafter-Interviews. In lockerer Folge spreche ich mit Markenbotschaftern/Corporate Influencern sowie Verantwortlichen aus Unternehmen. Sie erhalten detaillierte Einblicke in Projekte, Antworten auf drängende Fragen, wertvolle Praxistipps sowie authentische Erlebnisberichte. Ich setze damit auf den Best-Practice-Interviews aus meinem aktuellen Buch „Markenbotschafter – Erfolg mit Corporate Influencern“ auf.

Zur Person: Dr. Jörg Ehmer

Seit Juli 2014 verantwortet er das Deutschland- und Österreich-Geschäft von GrandVision, der weltweit führenden Unternehmensgruppe im Augenoptik-Handel; er ist CEO von Apollo Optik,  Aufsichtsratsvorsitzender von Pearle Österreich und Member of the Board des indischen Filialisten Vision Express.

Zuvor hatte er bereits Führungspositionn bei ElectronicPartner Handel SE, der E-Plus-Gruppe und Vodafone inne.

Links

Hier habe ich Dr. Jörg Ehmer bereits Anfang 2015 zum Thema CEO-Blog interviewt.

* * *

Das komplette Transkript des Markenbotschafter-Interviews mit Jörg Ehmer

Kerstin Hoffmann: Hallo Herr Ehmer!

Jörg Ehmer: Hallo, liebe Frau Hoffmann!

Kerstin Hoffmann: Herr Ehmer, was ist denn die wichtigste Eigenschaft eines Social CEO?

Ehmer: Das ist gleich eine gute Frage zum Anfang. Ich möchte es mal so beantworten: Die wichtigste Eigenschaft eines CEO ist sicherlich, dass er sozial ist – oder zumindest eine sehr wichtige Eigenschaft. Natürlich muss so ein CEO wissen, wo er mit der Firma hin möchte und das nötige Rüstzeug und das nötige Wissen haben. Aber für einen CEO ist es immer auch wichtig, sozial zu interagieren. Und das war schon lange vor der Digitalisierung so. Da hat man halt analog interagiert und jetzt ist eine Dimension hinzugekommen. Das ist die digitale. Und wer früher nicht analog interagieren konnte, der tut sich wahrscheinlich heute auch schwer darin, es digital zu tun.

Hoffmann: Sie haben ja schon gebloggt, da hat irgendwie noch niemand über Social CEOs gesprochen. Wir haben das erste Interview, glaube ich, 2015 geführt. Jetzt gibt es immer neue Rankings über Social CEOs, die sich massenweise auf LinkedIn einfinden. Ich finde das auch sehr gut, dass sich CEOs für Unternehmen sichtbar machen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Lange Zeit hat man ja gesagt: Es sind viel zu wenige deutsche Vorstände und Geschäftsleitungen in sozialen Medien. Jetzt gibt es eben ganz viele. Wie beurteilen Sie das auch mit Ihrer langen Erfahrung, als Blogger zunächst und dann in sozialen Netzwerken?

Ehmer: Gemischt, ehrlicherweise. Also, es gibt Kolleginnen und Kollegen,da hat man den Eindruck: Endlich! Denen tut das gut, es tut den Unternehmen gut. Sie haben was zu senden. Sie vertreten glaubwürdig ihre Meinung und werfen damit das richtige Licht auf sich und auch auf das Unternehmen, für das sie Verantwortung tragen. Das ist gut für alle Beteiligten. Ich sehe aber auch Kolleginnen und Kollegen, bei denen man geradezu dran fühlen kann, dass sie dazu gedrängt worden sind, dass der Content nicht von ihnen kommt, dass es nicht wirklich aus dem Herzen kommt, und dann leidet die Authentizität darunter, und das hilft hinterher auch keinem.

Also von daher: Grundsätzlich finde ich es gut, dass immer mehr Führungskräfte – nicht nur CEOs, sondern C-Level -und überhaupt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitmachen und auch für ihr Unternehmen Flagge zeigen. Am liebsten sind mir diejenigen, die es machen, weil sie es gerne tun, die dabei auch authentisch sind.

Hoffmann: Wichtiger Punkt, den Sie aufgegriffen haben: Es geht ja eben nicht nur um Vorständen und Vorstände und CEOs, sondern eben auch um Mitarbeitende. Das heißt, als CEO sind Sie auch immer Vorbild für alle anderen Menschen im Unternehmen. Was bedeutet das denn für Mitarbeitende, wenn Sie als Leuchtturm sehr sichtbar sind?

Ehmer: Ich glaube, dass es für Menschen immer schön ist, wenn sie jemanden haben, mit dem sie zusammenarbeiten, bei dem sie wahrnehmen, dass er brennt für das, was er tut, und dass er das, was er ihnen gegenüber sagt, nicht nur im Zwiegespräch oder in einem kleinen Meeting sagt, sondern das auch da sagt, wo er sich der Öffentlichkeit stellt. Und damit möglicherweise natürlich auch einer ganz anderen Form von Diskussion stellt, als er das im Unternehmen tut.

Und das ist etwas, was naturgemäß passiert, wenn Sie als Führungskraft – das gilt nicht nur für den CEO – in Social Media aktiv werden und dort Ihre Meinung posten, sei es zu unmittelbaren Firmenthemen oder einfach zu Themen, die Sie bewegen. Dann öffnen Sie sich damit natürlich zum einen für Ansprache, aber zum anderen auch für Diskussionen. Und das ist eine andere Art der Kommunikation als die klassische interne Kommunikation, bei der Sie ja, eigentlich – obwohl ich das Wort nicht mag, aber in dem Zusammenhang nutze ich es absichtlich –, wenn Sie eigentlich ja unangreifbar sind. Sie sind es natürlich nicht. Nur es wird oft genug nicht ausgesprochen, dass jemand anderer Meinung ist. In dem Kontext, weil vielleicht auch gedacht wird: Man darf das gar nicht sagen.

Das ist anders, wenn Sie sozial interagieren. Dann signalisieren Sie damit, dass Sie ansprechbar sind und auch diskussionsbereit sind. Ich glaube schon, dass das auch ein wichtiges Signal in Richtung der Mitarbeitenden ist, dass Sie offen sind für den Dialog. Und das nehme ich so auch wahr. Genauso wie ich es wahrnehme, dass insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neu dazustoßen, überrascht sind, dass man ansprechbar ist.

Hoffmann: Stichwort Ansprechbarkeit: Sie sind ja sehr ansprechbar in digitalen Medien. Das unterscheidet Sie auch von vielen anderen CEOs, die vielleicht ihre Kanäle auch intern im Team betreuen lassen oder sogar von Agenturen. Ist es denn wichtiger, dass Sie ansprechbar nach außen sind oder viel wichtiger nach innen? Also das heißt ein Social CEO ist ja zunächst einmal nach außen sehr sichtbar. Aber ist das wirklich das Wichtigste, oder ist die Innenwirkung wichtiger?

Ehmer: Also, ich bin überzeugt davon, dass die Innenwirkung zumindest sehr wichtig ist. Es ist ja so, dass Sie generell als Mensch nicht nicht kommunizieren können, genauso wie Sie auch nicht sozial nicht interagieren können. Natürlich interagieren Sie sozial. Auch, indem Sie sich in einer gewissen Weise reserviert verhalten, senden Sie Signale. Das gilt dann auch für die sozialen Medien.

Sind Sie nicht auf sozialen Medien, ist das eine Aussage. Sind Sie auf sozialen Medien, aber nicht ansprechbar, ist das auch eine Aussage. Die ist im Sinne dessen, was ich eben gesagt habe, natürlich aus meiner Sicht eine kritische Aussage, insbesondere in Zeiten, wo Mitarbeitende zurecht immer mehr Teilhabe und Dialog erwarten. Das gilt dann auch für die Ansprechbarkeit, natürlich nach außen.

Im Sinne der Glaubwürdigkeit kann man nicht irgendetwas vorspielen, was man dann in einer der beiden Richtungen nicht einhält. Sei es nach außen, sei es nach innen. Nach außen ist es oft schwieriger als nach innen.

Hoffmann: Wie gefährlich ist denn das? Sich als CEO zu zeigen und, wie Sie es ja auch tun, politische Position zu beziehen, ganz klare Kante zu zeigen. Wie riskant ist das denn? Und als wie gefährlich empfinden Sie das?

Ehmer: Das hängt zum guten Stück vom eigenen Wertesystem und vom eigenen Kompass ab und von der Frage auch, ob man bereit ist für das, was man denkt, was man als eigenes Wertesystem hat, einzustehen und damit dann auch öffentlich aufzutreten. Natürlich hat das alles seine Grenzen und ist unterschiedlich, je nach Ihrer Funktion. Wenn Sie der CEO eines börsennotierten Unternehmens sind, dann haben Sie andere Möglichkeiten und andere Grenzen, als wenn Sie der Inhaber eines Einzelunternehmens sind, das Ihnen gehört. Dazwischen gibt es alle Schattierungen von Grau.

Ich denke, es gibt Grundwerte, mit denen jeder in der Lage sein sollte, aufzutreten. Das sieht man ja auch bei den DAX-CEOS, die für bestimmte Punktesehr wohl auch dort Position beziehen. Deswegen denke ich, es ist nicht gefährlich, sondern es ist richtig, das zu tun. Auf der anderen Seite heißt natürlich „Choose your battles“, also: Wofür ziehe ich ins Feld? Und was ist so wichtig, dass ich mich dazu äußere?

Es ist ein bisschen wie Jürgen Klopp es mal in einem Interview gesagt hat: Bloß weil ich als Fußballtrainer in den Medien stehe, muss ich ja nicht zu allem eine Meinung haben und die auch sagen. Das gilt natürlich auch für Menschen, die in Unternehmen Verantwortung haben. Bloß weil man Verantwortung für ein Unternehmen und für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien trägt, muss man dann nicht zu jedem eine Meinung haben und die dann auch sagen.

Es geht um die Dinge, die einen bewegen, die einem wichtig sind. Und da meine ich, sollte jeder den Mut und die Kraft haben, dafür einzustehen. Ich zumindest tue das, zum Beispiel für das Thema Diversity, das das Unternehmen sehr stark prägt. Und ich bin begeistert zu sehen, wenn ich mich dafür stark mache in Social Media, wie viel Feedback aus dem Unternehmen kommt, und wie das Unternehmen dieses Signal auch aufgreift und man den Eindruck hat, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur auf dieses Signal gewartet haben. Dass es von der Unternehmensspitze nicht nur toleriert wird, sondern auch unterstützt wird. Und jetzt auch sich dergestalt äußern. in sozialen Medien dafür eintreten, ihre Stimme laut machen. Das ist gut.

Als CEO hat man immer Verantwortung, nicht nur fürs Unternehmen, sondern ein Stück weit auch mit für die Gesellschaft. Da, wo man Einfluss nehmen kann, denke ich, sollte man das auch tun.

Hoffmann: Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie sich aktiv dafür einsetzen, dass Mitarbeitende sich ebenfalls in sozialen Netzwerken engagieren und sichtbar machen?

Ehmer: Ja, wir tun das. Wir haben extra zum Beispiel unsere Filialen im Unternehmen so in Facebook eingerichtet, dass wir in den Filialen die Möglichkeit einräumen, dass die Filialen eigenen Content posten und nicht nur zentralvorgegebener Content gepostet wird. Natürlich gehört dazu, dass man den Mitarbeitenden klar macht, dass es auch in sozialen Netzwerken bestimmte Spielregeln gibt, an die es sich zu halten gilt, und dass man in einer bestimmten Art und Weise kommuniziert.

Aber nicht im Sinne eines detaillierten Maulkorbs. Sondern eher im Sinne von den zehn goldenen Regeln und Dos and Don’ts. Und ansonsten tun wir das über die Filialen. Und wir sind auch froh, wenn unsere Mitarbeiter das tun.

Hoffmann: Und es mag ja ein Stück weit auch etwas damit zu tun, die Mitarbeitenden zu schützen und die nicht einfach da raus zu schicken und sich zu exponieren mit Dingen, für die sie dann vielleicht sehr viel Gegenwind ernten, oder?

Ehmer: Ja, aber auch da sag ich: In Maßen. Es gibt das alte Sprichwort: Aus Schaden wird man klug oder aber, aus Fehlern lernt man. Die Entwicklung in den sozialen Medien, die es ja nun schon ewig lange gibt, ist trotzdem immer noch unglaublich dynamisch. Und da kann man natürlich auch Fehler machen, Schrägstrich, man kann die Fehler nie komplett vermeiden, und deswegen glaube ich, wenn man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unterstützt und Hilfs-Leitlinien an die Hand gibt und sie begleitet, dann hilft man ihnen, das Ärgste zu verhindern.

Aber Authentizität beruht auch darauf, dass mal eben was nicht gerade und glatt geleckt ist und aussieht, als käme es aus der Schreibfeder der Presseabteilung, sondern den Mitarbeitenden so wiedergibt wie er ist. Und das gilt für alle Medien, das gilt für die textlastigen. Aber es gilt auch für die neuen voicelastigen wie Clubhouse.

Hoffmann: Wir haben es schon mehrfach angesprochen: Aus der PR-Abteilung … Sie haben vorher gesagt, es gibt Kolleginnen und Kollegen, wo man merkt, dass der Inhalt nicht von denen ist. Was halten Sie denn generell von, ich nenne es jetzt mal nicht Ghostwriting, sondern eher redaktioneller Unterstützung, sowohl bei der Erstellung von Inhalten als auch beim Bespielen von persönlichen Kanälen in sozialen Netzwerken?

Ehmer: Das hängt davon ab, wie viel Zeit der Einzelne bereit ist, dafür zu investieren und ehrlicherweise auch, wie es die Stärke der Einzelnen und der Einzelnen ist, sich schriftlich zu äußern, da wo es schriftlich sein muss. Ich glaube, wer sagt, ich fühle mich dabei unsicher und bin in den Medien auch nicht unterwegs, dem ist durchaus gut angeraten, sich dabei unterstützen und begleiten zu lassen. Meine persönliche Sympathie gilt dem eigenen Posten. Das muss dann nicht gleich so exzessiv sein, wie Präsident Trump das gemacht hat und schon gar nicht mit dem Inhalt. Und es muss auch nicht unbedingt das sein, was man gelegentlich an anderer Stelle sieht.

Aber auch da: Wenn man mal über das Ziel hinausschießt und das trotzdem noch im vernünftigen Rahmen bleibt, dann ist es besser, es in seiner eigenen Sprache zu formulieren.

Hoffmann: Wie viel Zeit investieren Sie denn so ungefähr ins Bloggen und in Social Media?

Ehmer: Jetzt gebe ich die ausweichende Antwort: So viel will ich möchte. Und das ist ehrlicherweise dann wahrscheinlich sogar die richtige Antwort. Ich habe nicht ein festes Zeit-Kontingent, was ich dafür habe. Das hängt davon ab, wie ich eingespannt bin und auch, welche Themen es sind, die mich bewegen. Dann gibt es Phasen, wo ich relativ lange wenig sende, weil ich beruflich extrem eingespannt bin oder weil es keine Themen gibt, die mich gerade bewegen. Und dann gibt’s aber auch wieder Gelegenheiten, wo ich in sehr enger Abfolge Dinge poste.

Hoffmann: Muss man da  vorsichtig sein,  dass man nicht zu viel macht, damit sich nicht irgendwann jemand fragt: Was macht der Mann eigentlich beruflich?

Ehmer: Ja, die Frage kann kommen. Dann würde ich zurückfragen: Was ist denn Ihr Verständnis, was mein Beruf ist? Mein Verständnis meines Berufes ist eben auch, dass ich kommuniziere, für welche Werte das Unternehmen steht und wofür das Unternehmen sich gerade einsetzt und auch zum Beispiel, für welche Werte wir gegenüber unseren Mitarbeitern stehen. Wenn wir über Diversity sprechen, dann ist es eben schon so, wenn ich poste, dass ich stolz darauf bin, dass ein Mitarbeiter von uns eine Idee hatte, die wir jetzt in allen Filialen umgesetzt haben, nämlich einen Begrüßungsaufkleber an der Tür in Regenbogenfarben, wo draufsteht: Hier ist jeder willkommen.

Also wenn ich das poste, dann sage ich natürlich über unser Unternehmen was aus und gebe den Menschen die Möglichkeit, die nach einer neuen Arbeitsstelle suchen  oder nach einem neuen, spannenden Umfeld suchen, zu sagen: Oh, das klingt spannend. So ein Umfeld möchte ich auch.

Natürlich kann das nicht dazu führen, dass man von morgens bis abends nur in Social Media hängt. Aber da erlebe ich auch nich twirklich, dass das irgendjemand tut.

Hoffmann: LinkedIn ist ganz stark im Aufwind, gerade was dieses Thema Social CEOs aus angeht. Manche werden als „Twitter-Könige“ gefeiert. Welches ist denn Ihr liebstes Social Network?

Ehmer: Ich habe nicht das eine liebste Social Network. Das Faszinierende an Social Media ist, dass unterschiedliche Netzwerkeunterschiedliche Zielgruppen bedienen und durchaus auch im Content –bei allem Bestreben nach Content-Recycling im professionellen Bereich –für unterschiedlichen Content geeignet sind. Also, LinkedIn ist für mich ein Netzwerk, in dem ich tatsächlich professionell unterwegs bin, viel auch international. Deswegen sind meine meisten Postings dort in Englisch.

Mit XING erreiche ich auch ein Business-Netzwerk, aber ganz andere Menschen.

Und in Facebook erreiche ich viele, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in den Business-Netzwerken nicht tummeln, und letztlich mittelbar natürlich dann auch viele Kundinnen und Kunden, die sich möglicherweise auch mal dorthin verirren. Clubhouse ist etwas völlig anderes, um ein neues Netzwerk zu nennen, wo man noch nicht wirklich weiß, wo das hinführt. Im Moment scheint es ja wieder stark auf dem Weg nach unten zu sein. Aber auch da sind wieder ganz andere Menschen.

Von daher: Welche Botschaft möchte ich senden? Welche Zielgruppe möchte ich erreichen? Ich finde, alle Netzwerke, die ichgerade genannt habe, haben ihren Reiz. Sie müssen immer zu dem passen, der sendet. Deswegen ist TikTok nichts für mich, und mit Snapchat konnte ich auch nie was anfangen.

Instagram nutze ich eher privat mitmeiner Leidenschaft Fotografieren und um zu sehen, was meine Söhne machen – auch wenn das nichts mit Stalking, sondern mit Interesse zu tun hat.

Hoffmann: Was hat sich denn überhaupt, seit Sie in sozialen Netzwerken unterwegs sind, als CEO verändert und vor allen Dingen auch jetzt im vergangenen Jahr mit der Corona-Situation? Wie hat sich das gewandelt nach Ihrer Beobachtung?

Ehmer: Ich erlebe über die Jahre, dass auch die ursprünglich extrem professionell orientierten Netzwerke immer mehr sich Facebook und, ich würde mal sagen, consumerlastigen Netzwerken angleichen. Also der Content, der vor einigen Jahren auf LinkedIn gepostet wurde, hatte eine ganz andere Qualität, einen ganz anderen Tiefgang, als das heute der Fall ist.

Und ich sehe auch, wenn ich meine Blogartikel mir angucke, die in ähnlicher Diktion und Länge sind, wie sie vor fünf Jahren auch schon waren, oder wenn ich auf LinkedIn Artikel poste, die etwas länger sind, dann stelle ich fest, dass das Interesse an kurzen, schnell zu konsumierenden Nachrichten deutlich größer ist, als wenn man sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt.

Es geht spannenderweise so weit, dass mir in meinem Blog, wenn ich einen Artikel geschrieben habe, vorgeschlagen wird, die Sätze zu kürzen, weniger Fremdwörter zu gebrauchen und verschiedenste Dinge zu machen, um es einfacher zu lesen zu machen. Wo ich aber nur in Grenzen mitspiele, weil ich ja sehr bewusst so formuliere, wie ich formuliere. Und mir ist bewusst, dass da nicht jeder Spaß daran hat. Das macht dann auch nichts. Es muss ja nicht jeder an allem, was man tut, am Ende des Tages auch Freude haben.

Also ich erlebe einen Rückgang der Aufmerksamkeitsspanne, eine geringere Bereitschaft, sich mit Themenernsthaft zu beschäftigen in den sozialen Medien, als das vor einigen Jahren noch der Fall war.

Hoffmann: Sie haben es gerade schon angesprochen: Menschen haben eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne. Es ist schwieriger für eigene Inhalte Sichtbarkeit zu erzielen. Was sind denn Ihre KPI, Ihre Indikatoren für Erfolg? Sind das Likes? Sind das Reaktionen? Sind das Kommentare? Wie wichtig sind solche Zahlen für Sie?

Ehmer: Mag erstaunlich sein in meiner Funktion, aber sie sind von untergeordneter Bedeutung. Zumindest dann, wenn ich nur auf die schiere Zahl, auf die Masse gucke. Es geht eher um Qualität. Ich kann mich natürlich freuen, wenn ich ein Posting mache und dann über 200 Interaktionen habe. Wenn die aber alle nur der flüchtige Daumen hoch sind und kein Kommentar dabei ist, dann bringt mich das nicht weiter. Und es zeigt mir auch eher, dass es schnell geliket wurde, weil es gefällt und das war’s aber auch schon wieder. Und dementsprechend wenig nachhaltig ist auch die Wirkung.

Also von daher ja, Views ist natürlich interessant und Likes ist auch interessant und für manche mehr für den anderen weniger eine persönliche Eitelkeit. Für mich ist eher interessanter: Wer hat sich damit auseinandergesetzt? Von wem bekomme ich welche Kommentare? Wer hat es gesehen und wer hat es vielleicht dann auch geteilt? Und wo ist es wie dann weiter diskutiert werden? Da kommt man natürlich an die Zeitgrenze, das alles nachzuvollziehen. Aber ab und an hat man doch mal Leerlauf, guckt rein und das ist dann das, wo ich sage: Ja, das hat sich gelohnt.

Es hat sich eben sehr wohl für mich gelohnt, wenn ich ein Posting zu irgendeinem Thema mache, dann macht es mir mehr Freude, wenn ich sehe, dass zehn Mitarbeiter das teilen. als wenn ich 100 Likes habe von Menschen, die ich nicht kenne, wo ich genau weiß, die sind im Zweifelsfall einmal drübergegangen, haben gesagt: „Oh, da hat ja einer einen Preis gewonnen,da mache ich ein Like und bin wieder weg.“

Also von daher: Qualität geht auch da vor Quantität, aber ohne Quantität ist es natürlich auch mühsam, sage ich mal.

Hoffmann: Wir haben jetzt schon aus verschiedenen Richtungen beleuchtet, wie wichtig es ist für Menschen in Unternehmen, sich sichtbar zu machen. Sie haben gesagt, wenn man in sozialen Netzwerken sichtbar ist, ist das eine Aussage. Und wenn man sich raushält, ist das auch eine Aussage. Das heißt, es ist schwierig, für Dinge zu stehen und Botschaften zu kommunizieren, wenn man sich nicht sichtbar macht.

Trotzdem, und darüber sollte, glaube ich, auch nicht hinwegtäuschen, dass immer mehr Social CEOs beispielsweise auf LinkedIn sind: Trotzdem gibt es ja in vielen Unternehmensleitungen und Vorständen noch Vorbehalte dagegen. Menschen wollen einfach nicht in Social Media sein oder wollen ihr Gesicht nicht hinhalten oder halten das für kritisch oder gefährlich. Was würden Sie denn einem CEO oder einer Vorständin mitgeben, die zweifeln oder skeptisch sind, ob es sich lohnt, sich stärker sichtbar zu machen in digitalen Medien und in sozialen Netzwerken?

Ehmer: Zunächst mal das, was ich eben schon mal gesagt habe: Man kann nicht nicht kommunizieren. Und so wie Sie es eben auch gesagt haben, die Nicht-Präsenz ist eine Aussage. Meine erste Frage an die Kollegin oder den Kollegen: möchtest du diese Aussage treffen? Wahrscheinlich ist die Antwort darauf: Nein. Wenn die Antwort „Nein“ ist, dann gibt’s nichts anderes, als sich damit auseinanderzusetzen. Und da wäre mein Ratschlag, sich professionell begleiten zu lassen. Wenn man sich das selber nichtzutraut, ist es sicherlich hilfreich. Denn es gibt einige Fußfallen, in die man reintreten kann. Also sich zumindest zum Start professionell begleiten zu lassen, aber auch nicht zu viel Angst zu haben.

Mein Eindruck ist auch: Das Netz verzeiht oft relativ viel, wiewohl natürlich auch schnell ein Shitstorm entstehen kann. Insofern lieber einmal nachdenken, bevor man den Senden-Knopf drückt.

Aber nach meiner Erfahrung ist das bei den meisten, die sich diesem Medium annähern, nicht das Problem. Sondern diejenigen, die was senden. was sie besser hinterher nicht gesendet haben, sind diejenigen, bei denen es in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint und damit eine gewisse Nachlässigkeit eintritt.

Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so: Wer Dinge postet, wo man hinterher sagt „ja, wie kann man denn sowas posten?“ hat entweder einen ganz rabenschlechten Tag gehabt, oder er hat nur das gepostet, was er glaubt. Und dann ist es auch das, wofür er einstehen muss und die Konsequenzen tragen muss. Also insofern, die Empfehlung ist, wenn man sich unsicher ist, sich begleiten zu lassen, aber dort nicht präsent und nicht aktiv zu sein, ist aus meiner Sicht keine Option.

Hoffmann: Vielen Dank, Herr Ehmer, das war eine starke Aussage, das waren sehr, sehr interessante Einblicke. Weiter viel Erfolg,und wir sehen und wir hören uns. Tschüß!

Ehmer: Danke für das Gespräch. Tschüß!

Hoffmann: Danke, dass Sie bis hierher zugeschaut und zugehört haben. Wenn Ihnen dieses Format gefällt, dann können Sie es auch abonnieren. Den Link dazu finden Sie in den Shownotes. Ansonsten freue ich mich immer über Feedback und Ideen. Melden sich gern. Tschüß und bis bald. Ihre Kerstin Hoffmann.

Buchtitel: Markenbotschafter – Erfolg mit Corporate Influencern

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Dr. Kerstin Hoffmann