Haben Sie zu wenige Social-Media-Kontakte?

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Warum es sich lohnt, ein sensibles Thema genauer zu betrachten

„Haben Sie zu wenige Social-Media-Kontakte?“ – Das ist zugegebenermaßen eine heikle Frage. Soll man Personen(-marken) dazu ermutigen, ihr Netzwerk aktiv stark zu vergrößern? Niemand möchte schließlich als Kontaktsammler oder Spam-Person abgestempelt werden. Ich finde: Man sollte es ihnen raten. Aber mit den richtigen Vorzeichen und nach genauer Überlegung. 

Das schiere Sammeln von Kontakten um der Zahlen willen ist in seriösen Kommunikationskreisen verpönt. Zu Recht. Zeugt es doch von viel Eigeninteresse der Kontaktsammelnden und von wenig eigenem Interesse an den Menschen hinter den Accounts und am Austausch mit diesen.

Aber auch aus Sicht des Absenders muss man von solchen Zahlenspielen dringend abraten. Je unspezifischer das eigene Netzwerk zusammengestellt ist, desto weniger hat es diesen Namen verdient. Die Interaktionsrate sinkt. Eine Bindung der Gegenüber an den betreffenden Account entsteht kaum. Zudem mögen viele potentielle Empfänger eine große Reichweite suggerieren. Aber der tatsächliche Anteil der Zielgruppe, bezogen auf die strategischen Ziele des Betreffenden, ist wahrscheinlich verschwindend gering.

Daher ist es ein wirklich sensibles Thema, wenn man Personen(-marken) – etwa im Corporate-Influencer-Coaching – dazu ermutigt, ihr Netzwerk aktiv zu vergrößern. Sie sollen ja eben nicht zu kontaktsammelnden Spammern werden. Doch tatsächlich gewinnt ein aktiv und nachhaltig aufgebautes, stetig wachsendes Netzwerk an Qualität, und zwar idealerweise für alle Beteiligten.

Warum manche Netzwerke einfach nicht wachsen

Gerade in Corporate-Influencer-Projekten, in denen ich einzelne Personen sehr eng begleite, stelle ich oft fest: Die Betreffenden investieren viel Zeit in die eigene Personenmarkenstrategie, in die Konzeption, Planung sowie Erstellung von Inhalten. Doch die Zahl ihrer Kontakte, etwa auf LinkedIn, wächst auch über einen längeren Zeitraum nur sehr langsam.

Das kann verschiedene Gründe haben, beispielsweise:

  • Der oder die Betreffende möchte eben nicht in den Verdacht geraten Kontakte einfach zu sammeln.
  • Es wird bereits so viel Zeit investiert, dass die gezielte Recherche nach möglichen neuen Kontakten zu kurz kommt. Es wird also oft auch einfach vergessen.
  • Es ist kein Bewusstsein dafür vorhanden, wie wichtig und nutzenstiftend ein wachsendes Netzwerk sein kann.
  • Es herrscht die Befürchtung vor, dass mit einer wachsenden Zahl der Kontakte auch der unverwünschte (Verkaufs-/Sales-Spam) zunimmt.

Doch gerade die Befürchtungen, die dem Ausbau entgegenstehen, lassen sich mit einer aktiven Vorgehensweise ausräumen. Individuelle Vorlieben und Gegebenheiten sind dabei aber unbedingt zu berücksichtigen.

Die Sache mit den kritischen Massen

Kontakte um der Zahlen willen zu sammeln: Das ist zwar nicht sinnvoll, wie wir bereits herausgearbeitet haben. Doch viel Aufwand in hochwertige Inhalte zu investieren, die dann kaum jemand sieht: Das ist bestenfalls Zeitverschwendung. Wer also bestimmte (Kommunikations-)Ziele verfolgt, wer sich als Corporate Influencer oder anderweitig als Personenmarke sichtbar machen will, wer auf Marketingerfolge einzahlen will, braucht eine gewisse Größe der Community.

Je nach Zielen, Branche, Spezialisierung und persönlichem Umfeld, kann die erforderliche kritische Masse sehr unterschiedlich ausfallen. Ein sehr sichtbarer Social CEO auf LinkedIn, der nicht über einen gewissen Zeitraum mindestens eine deutlich vierstellige Zahl aufweist, macht womöglich etwas falsch – oder zumindest das behauptete Selbstbild unglaubwürdig. Aber gerade in solchen Fällen lohnt sich eine differenzierte Vorgehensweise statt des schieren Sammelns. Denn dann wird das Ganze mit der Zeit eine produktive Eigendynamik entwickeln.

Versionen der persönlichen Kontaktannahmepolitik

Jetzt einmal abgesehen von den offensiven Kontaktsammlern: Verschiedene Menschen gehen ganz unterschiedlich bei der Annahme von Kontaktanfragen vor.

  • Die einen bestätigen nahezu alle Anfragen und stellen auch selbst sehr viele. Meistens sind solche Menschen dann auch ziemlich tolerant gegenüber dem ganzen Sales-Spam, der sich fast zwangsläufig über ihnen entlädt.
  • Die anderen selektieren ihr Netzwerk genauer, prüfen beispielsweise anhand bestimmter Kriterien, ob es sich um Spam-Accounts handeln könnte. Sie nehmen aber dennoch auch Anfragen von bisher Unbekannten an – entweder relativ großzügig, oder nur dann, wenn es bereits gemeinsame Kontakte gibt.
  • Dann gibt es aber auch noch die sehr restriktiven Netzwerker:innen, die sich auch in Social Media nur mit solchen Accounts verbinden, deren Inhaber:innen sie persönlich kennen.

Zwischen diesen drei Vorgehensweisen, die alle ihre begründete Berechtigung haben, gibt es jede nur denkbare Abstufung. Oft unterscheidet sich die Vorgehensweise ein- und derselben Person auf unterschiedlichen Plattformen.

Im Reaktionsmodus steckengeblieben?

Vor allem aber sollte man unterscheiden zwischen einer eher reaktiven und einer aktiven Kontaktannahmepolitik. Viele Menschen nehmen zwar großzügig Kontaktanfragen an, erhalten oft auch sehr viele solche, stellen aber kaum einmal selbst welche. Will heißen: Viel zu viele Menschen schaffen zu wenig Werte für sich und andere im Netzwerk, weil sie im Reaktionsmodus steckenbleiben.

Wie viele qualitätvolle Anfragen, aus denen gegenseitiger Nutzen entsteht, hängt bei einer solchen Vorgehensweise vor allem vom Engagement der Gegenüber ab, und damit auch ein Stück weit von dem Zufall, dass und ob die Richtigen zu Ihnen finden.

Natürlich bestimmen Ihre Aktivitäten in dem betreffenden Netzwerk mit über die Zahl und Qualität der Anfragen. Je besser Sie vernetzt sind, je aktiver Sie posten und interagieren und je häufiger andere Sie erwähnen oder bei Ihnen kommentieren, desto höher wird der Anteil wertvoller neuer Anfragen werden. Allerdings steigt mit diese Zahl erfahrungsgemäß auch die Anzahl weniger interessanter Interaktionen.

Darum sollten Sie aktiv Ihr Netzwerk erweitern

Daher ist eine aktive Gestaltung des eigenen Netzwerks durch selbstgestellte Kontaktanfragen aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Dies gilt auch und sogar gerade ganz besonders dann, wenn Sie viele Kontaktanfragen erhalten.

Bleiben Sie dagegen nur im Reaktionsmodus stecken, dann ist eines ziemlich sicher: Eine relativ große Zahl der Anfragenden kommt vor allem deswegen auf Sie zu, weil er oder sie sich davon einen direkten einseitigen Vorteil verspricht und Ihnen beispielsweise auf sehr nervende Weise etwas verkaufen will, an dem Sie gar kein Interesse haben.

Alle Menschen sind gleich viel wert – aber nicht jeder Kontakt ist wertvoll

Einen (potentiellen) Kontakt als mehr oder weniger „wertvoll“ zu deklarieren, das ist ganz dünnes Eis. Es sollte immer in einen Kontext gestellt werden. Denn abgesehen von Fakeprofilen steht ja hinter jedem Account ein echter Mensch, der zunächst einmal Wertschätzung und einen Vertrauensvorsprung verdient hat.

Doch die Sache gilt ja für beide Seiten: Netzwerken funktioniert dann gut, wenn alle Beteiligten gleichermaßen profitieren. Zwar ist es sehr sinnvoll, die eigene Filterblase zu verlassen. Auch fände ich es sehr langweilig und wenig fruchtbar, wenn man sich nur solche Bekannten aussuchen würde, mit denen man alle Werte, Ansichten und Verhaltenweisen teilt. Toleranz stellt eine sehr wichtige Qualität dar. Auch wenn jemand mal nervt, bin ich immer geneigt, zunächst einmal das Beste anzunehmen – und nicht gleich bösen Willen vorauszusetzen.

Auch können gerade solche Kontakte sich als sehr interessant und wertvoll erweisen, die nicht nur gemäß den eigenen strategischen oder gar Verkaufszielen ausgewählt sind.

Doch gerade deswegen lohnt es sich, das eigene Netzwerk aktiv zu gestalten. Denn selbst wenn die Spammer und Sammler ausbleiben, verharren Sie ansonsten womöglich nur in Ihrer eigenen Filterblase. Oder Sie sind eben doch mittelfristig genervt von den vielen wenig qualitätvollen Anfragen, denen man bereits ansieht, dass sie automatisiert erfolgen und ziemlich sicher nicht auf Wertschöpfung im Netzwerk abzielen.

Wachstum steckt in den schwachen Bindungen

Das eigentliche Wachstumspotential in Netzwerken steckt nicht im engeren Umkreis, sondern in den sogenannten „schwachen Bindungen“. Das hat Mark Granovetter (The Strength of Weak Ties) bereits 1973 herausgefunden, und die Studienergebnisse gelten bis heute, in den schnellen digitalen Zeiten erstaunlicherweise uneingeschränkt. Zuwachs, und das gilt eben auch für Kunden und Empfehler, geschieht nicht allein über die eigenen, direkten engen Beziehungen zu anderen (strong ties), sondern über die weiteren Verzweigungen im Netzwerk.

Neues erfahren, bisher unbekannte sehr interessante Menschen kennenlernen, vielleicht sogar von lebensverändernden Sichtweisen erfahren: All dies ist wahrscheinlicher, je verdünnter das Netzwerk ist; je weiter also der betreffende neue Kontakt von einem selbst entfernt ist. Diese Menschen zu finden, erfordert einige Recherche. Aber wenn Sie es einmal heraushaben, wird es mit der Zeit leichter,

Bitte niemals die starken Verbindungen vernachlässigen

Um aber an diese weak ties heranzukommen, braucht man zunächst die strong ties als eine Art Netzwerkknoten oder Schnittstelle, über die sich Botschaften, Inhalte, Reputation weiterverbreiten. Jeder einzelne Kunde, jeder Kontakt eines einzelnen Vertriebsmitarbeiters, Beraters, Unternehmensvertreters stellt potentiell einen solchen Netzwerkknoten dar. Man könnte diese neudeutsch, analog zum „Content Hub“, die „Contact Hubs“ nennen.

Jeder Mensch kann nur eine bestimmte Zahl an Kontakten wirklich erfassen und aktiv pflegen. Die sogenannte Dunbar-Zahl Dunbar-Zahl von 150 „bezeichnet eine hypothetische, kognitive Grenze der Anzahl an Menschen, mit denen ein Individuum soziale Beziehungen unterhalten kann.“ (Stangl, 2022)

Die Zahl der Personen, mit denen ein Mensch in wirklich regelmäßigem intensivem Austausch stehen kann, mag je nach Individuum variieren. Doch ist sie noch deutlich geringer. Daher geht es bei der Pflege des wachsenden Netzwerkes um einen gesunden Mix zwischen Reichweite und intensivem Austausch, innerhalb eines dynamischen Kontruktes, das sich ständig verändert. Dieser Tatsache gilt es Rechnung zu tragen.

Netzwerkpflege: kontinuierliche Arbeit – die sich lohnt!

Deswegen wird sich Ihre eigene Kontaktannahmepolitik verändern und weiterentwickeln. Sie wird Schwankungen sowie Wellenbewegungen unterworfen sind. Es wird Sättigungskurven geben und womöglich auch große Ausschläge nach oben, wenn Sie bei einem Anlass in den Netzwerken anderer Menschen einmal besonders sichtbar sind.

Niemand kann Ihnen die Arbeit abnehmen, die mit dem nachhaltigen Aufbau eines wertvollen Netzwerks verbunden ist. Ebensowenig wie die ständige Pflege der digitalen Beziehungen. So ein Netzwerk hält nicht von selbst zusammen, sondern erfordert Aufmerksamkeit, Engagement und Energie. Doch es lohnt sich. Netzwerke neigen dazu, sich selbst zu verstärken: Ein hochwertiges, nachhaltig aufgebautes Netzwerk wird mit der Zeit immer qualifizierter werden.

So finden Sie aktiv neue, interessante Kontakte

Wenn Sie sich nicht darauf verlassen wollen, dass die Richtigen zu Ihnen finden, gibt es viele Möglichkeiten, neue interessante Kontakte in sozialen Netzwerken zu finden. Hier einige einfache Beispiele:

Direkt

  • Menschen, denen Sie bereits persönlich begegnet sind, per Suche in sozialen Netzwerken wiederfinden
  • Social-Media-Links folgen (etwa in E-Mail-Footern oder auf Websites)

Über bestehende Kontakte (strong ties):

  • Likes/Reactions unter Postings in Ihrem Netzwerk
  • Kommentare in Ihrem Netzwerk
  • Empfehlungen/Erwähnungen Ihrer bestehenden Kontakte
  • (virtuelle) Veranstaltungen

Ohne direkte Verbindung (weak ties):

  • interessante Hashtags recherchieren und diesen folgen (z. B. auf LinkedIn oder Instagram)
  • Suche nach Themen über die Suchfunktion
  • Vorschläge des Algorithmus anhand der eigenen Interessen
  • Gruppen (z. B. auf Facebook oder LinkedIn)
Dr. Kerstin Hoffmann