Zwei Jahre Corporate Influencer bei Otto: „Wir müssen lernen loszulassen“
Erfahrungen mit dem Jobbotschafter-Programm – ein Interview
Als der Onlinehändler Otto vor ziemlich genau zwei Jahren sein Jobbotschafter-Programm ausrief, war die mediale Aufmerksamkeit groß. Das Thema Corporate Influencer – also Markenbotschafter aus den Reihen der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – kam in Deutschland gerade so richtig auf. Aber es gab nur sehr wenige öffentlich dokumentierte Beispiele, vor allem für umfassende Programme in größeren Unternehmen. Nun sind die Jobbotschafter eine sehr spezielle Form der Markenbotschafter. Das Employer Branding und speziell die Mitarbeitergewinnung stellt jedoch, das ist mir in etlichen Projekten klargeworden, einen sehr wichtigen Aspekt in fast allen Markenbotschafter-Strategien dar. Das gilt unabhängig davon, wo sie im Unternehmen angesiedelt sind – also auch dann, wenn sie beispielsweise komplett von der Unternehmenskommunikation betreut werden. Deswegen hat es mich sehr interessiert, welche Erfahrungen das Otto-Team mittlerweile gesammelt hat. Eugenia Mönning, Pressesprecherin HR, hat mir meine Fragen beantwortet.
Frage: Wie sehen Sie denn, mit den Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre, die Jobbotschafter innerhalb des Gesamtthemas Corporate Influencer?
Eugenia Mönning: Für uns sind die Corporate Influencer nicht mehr wegzudenken. Wer könnte glaubwürdiger über Otto sprechen als die eigenen Mitarbeiter*innen? Sie brennen für ihre Aufgaben und stecken andere mit ihrer Leidenschaft an. Potenzielle Bewerber*innen profitieren so von dem direkten Einblick und den Erfahrungen der Botschafter*innen.
Das Besondere: Unsere Kolleg*innen können sich für eines oder mehrere der sechs Profile anmelden und erhalten maßgeschneiderte Trainings für das jeweilige Modul. Damit tragen sie aktiv dazu bei, wer bald der oder die neue Kolleg*in sein könnte.1
Hat sich die Ausrichtung seit dem Start verändert? Wie hat sich das Programm insgesamt weiterentwickelt?
Die Anzahl unserer Corporate Influencer hat sich seit Beginn des Programms bereits verdoppelt, auf 200, und ist damit eine schöne Bestätigung für den Erfolg. Aber auch extern stoßen die persönlichen Gespräche und Geschichten auf großes Interesse und bringen noch mehr Interessenten dazu, sich bei uns zu bewerben.
Trotzdem versuchen wir das Programm aber auch an den Wandel der Unternehmenskultur anzupassen und immer wieder zu verbessern. Wir sprechen mit unseren Jobbotschaftern darüber, welche Skills sie zusätzlich brauchen und entwickeln so das Trainingsprogramm weiter. Auf jeden Fall ist es fester Bestandteil unserer Recruitingstrategie und des Employer Brandings geworden.
Die sechs Jobbotschafter-Profile
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die am Jobbotschafter-Programm teilnehmen, entscheiden sich für eines oder mehrere von sechs Profilen mit unterschiedlichen Schwerpunkten:
- Multiplikatoren unterstützen bei der Markenbildung in Social Media.
- Socializer vertreten ihren Arbeitgeber auf Recruiting-Veranstaltungen.
- Fachexperten halten auf Recruiting-Events und Kongressen Vorträge über ihr Fachgebiet.
- Kontakter stehen Bewerbern als Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung und begleiten die Kandidaten im Bewerberprozess.
- Co-Recruiter führen Interviews mit Bewerbern.
- Impulsgeber helfen dabei, den bewerbungsprozess und die Arbeitgebermarke weiterzuentwickeln.
Eine ausführliche Beschreibung der Jobbotschafter-Profile gibt es hier im „personal.magazin“ (PDF; S. 44)
Das Jobbotschafter-Programm ist bei Otto auf das Employer Branding fokussiert und dient vor allem dazu, neue Fachkräfte zu gewinnen – also ein HR-Thema. Wie eng ist das Programm zugleich an die Unternehmenskommunikation angebunden?
Unsere Botschafter arbeiten eng mit dem Personalmarketing und dem Recruiting zusammen, weil wir mit dem Programm vor allem das Ziel verfolgen, unsere offenen Stellen schneller mit den geeigneten Talenten zu besetzen. Wir als Unternehmenskommunikation unterstützen unsere Kollegen zum Beispiel beim Storytelling, stehen für spezielle Fragen zur Verfügung oder geben Speaker-Trainings.
Was muss die PR leisten, damit ein solches Programm ein Erfolg wird?
Durch persönliche Ansprechpartner und Workshops nehmen wir den Jobbotschaftern die Angst, etwas falsch zu machen. Wir ermutigen sie dazu, ihre Leidenschaft mit anderen zu teilen und authentisch über ihre Aufgaben zu erzählen, wobei wir auch nichts aufzwingen. Alles ist freiwillig: Jeder kann, keiner muss.
Funktionieren kann das Ganze aber nur, wenn die Kollegen zufrieden sind mit ihrem Job. Und das ist das Beste, was die Jobbotschafter aus PR-Sicht tun können. Wir wollen sie nicht zu Pressesprechern machen, sie sollen einfach erzählen, wie es ist bei uns zu arbeiten. Damit schaffen sie Nähe, und Interessierte haben weniger Hemmungen, mit uns als Unternehmen in Kontakt zu kommen, weil sie die Menschen sehen und mit ihnen sprechen können, die da arbeiten.
Die Unternehmenskommunikation muss allerdings lernen, loszulassen. Je schneller wir erkennen, dass wir nicht mehr die alleinige Kommunikationshoheit haben, desto schneller können wir zu Unterstützern werden. Die Unternehmensbotschaften erzählen immer noch wir, aber unsere Jobbotschafter füllen sie mit Leben.
Die Jobbotschafter üben diese Rolle ja neben ihrer eigentlichen Tätigkeit aus. Wie viel Aufwand muss der/die Einzelne investieren? Ist die Aktivität als Jobbotschafter – auch in sozialen Netzwerken – Teil der regulären Arbeitszeit?
Das überdurchschnittlich große Interesse der Kollegen hat gezeigt, dass sie gerne ihre Erfahrungen und Leidenschaft teilen. Das ist die Basis für das Programm. Deswegen finden die Trainings während der Arbeitszeit statt, und auch ihre Aktivitäten als Jobbotschaftergehören dazu – auch Social Media.
Gibt es Beschränkungen, wie viel Zeit jemand investieren darf?
Die originären Aufgaben gehen immer vor, deswegen können alle selbst entscheiden, wie viel Zeit sie dafür investieren.
Will man Mitarbeitende als Corporate Influencer gewinnen, dann stößt man nach meiner Erfahrung nach häufig bei vielen Beteiligten zunächst auf Bedenken. Typische Fragen beziehen sich vor allem auf soziale Netzwerke: „Was ist, wenn ich öffentlich sichtbar einen Fehler mache?“ „Wie wirkt sich meine Sichtbarkeit in Social Media auf mein Berufsleben aus?“ „Wie verbinde ich meine bisher vorwiegend privaten Aktivitäten etwa auf Facebook mit meiner neuen Rolle?“ „Was ist, wenn ich in einen Shitstorm gerate?“ – Sind Ihnen solche Bedenken begegnet?
Klar, darüber haben wir auch nachgedacht. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die zufrieden sind und sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, automatisch sicherer sind. Zusätzlich unterstützen und schulen wir unsere Kolleginnen und Kollegen, um ihnen die Angst vor Fehlern zu nehmen.
Und wenn’s dann noch mal schief geht, dann ist das so. Das könnte genauso gut jemandem passen, der/die kein Jobbotschafter ist.
Hat das Jobbotschafter-Programm insgesamt im Unternehmen ein Umdenken angeregt?
Das Programm hat dazu beigetragen, dass sich viele Kollegen noch mehr mit Otto identifizieren, sichtbarer werden und den Stolz auch zeigen. Das steckt einfach an, also ja. :)
Wirkt sich das Jobbotschafter-Programm auch insgesamt auf die öffentliche Wahrnehmung aus, oder sind die Effekte im engeren Rahmen des Employer Branding geblieben?
Solche Rückschlüsse zu ziehen ist ja immer etwas schwierig, weil viele unterschiedliche Faktoren Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung haben und sowas schwer messbar ist. Nichtsdestotrotz hat das Programm für Aufmerksamkeit gesorgt, sich innerhalb der vergangenen zwei Jahre bewährt und ist angesichts der heutigen Digitalisierung wichtiger geworden denn je.
Wie beurteilen Sie den Erfolg des Programms nach nunmehr zwei Jahren?
Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung. Die Anzahl an Jobbotschaftern hat sich verdoppelt, und die Rückmeldungen, die wir von Bewerbern bekommen, sind super. Unsere Corporate Influencer tragen entscheidend dazu bei, dass sich Talente für uns entscheiden, weil sie wissen, was sie bei uns erwartet.
Um eine Parallele zum klassischen Influencer Marketing zu ziehen: Talente können durch die echten Einblicke unserer Kollegen das Produkt „Job“ schon vorher testen. Damit fällt ihnen die Entscheidung deutlich einfacher.
Welche Rückmeldungen, etwa über persönliche Erfahrungen, bekommen Sie von den einzelnen Jobbotschaftern selbst?
Total schöne Rückmeldungen, nämlich Begeisterung und Stolz. Wenn ich mich mit dem Unternehmen, in dem arbeite, identifizieren kann, spannende Projekte und coole Aufgaben habe, die Kollegen zu Freunden werden und die Kultur zu mir passt, dann macht das einfach Spaß – und dann erzählt man auch gerne davon.
Wie soll es mit dem Programm weitergehen?
Wir schauen auf jeden Fall weiter genau hin: Wie entwickelt sich die Candidate Journey? Brauchen wir neue Profile? Welche Bedürfnisse haben unsere Jobbotschafter und welche unsere Bewerber? Diese Fragen beschäftigen uns, deswegen weiß ich nicht wohin wir uns entwickeln, aber ich weiß, dass es weiter gehen wird und wir das Programm immer wieder anpassen werden.
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1Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich ab der zweiten Antwort auf die * zur Gender-Kennzeichnung verzichtet. Gemeint sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.
Fotos: Otto (GmbH & Co KG)
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